Fundamentalanalyse: Der Schlüssel zur erfolgreichen Aktienbewertung
Das Wichtigste auf einem Blick:
Die Fundamentalanalyse bewertet den “inneren Wert” eines Unternehmens, um festzustellen, ob eine Aktie im Vergleich zu ihrem aktuellen Börsenkurs fair, unter- oder überbewertet ist.
Die drei zentralen Kennzahlen für Einsteiger sind das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) und das Kurs-Cashflow-Verhältnis (KCV), die jeweils die Ertragskraft, Substanz und Finanzkraft eines Unternehmens beleuchten.
Keine Kennzahl ist perfekt. Ihre wahre Aussagekraft entfalten sie erst im Kontext der Branche, im historischen Vergleich und in Kombination miteinander, da sie als Indikatoren für die Bewertung der Unternehmensentwicklung dienen.
Für eine fundierte Entscheidung müssen Sie den Fokus auf die wichtigsten Indikatoren und die Grenzen und Fallstricke jeder Kennzahl legen, von bilanziellen Verzerrungen bis hin zu strategischen Unternehmensentscheidungen wie Aktienrückkäufen.
Was ist Fundamentalanalyse? Ein Blick hinter die Kulissen der Börse
Die Fundamentalanalyse ist eine Methode der Finanzanalyse, die darauf abzielt, den “wahren” oder “fairen” Wert eines Wertpapiers, typischerweise einer Aktie, zu ermitteln. Sie stützt sich dabei auf wirtschaftliche, finanzielle und andere qualitative sowie quantitative Faktoren, um eine fundierte Bewertung vorzunehmen. Die Analyse erfolgt auf der Grundlage von Unternehmensdaten und Kennzahlen, die als Basis für die Bewertung und den Vergleich von Unternehmen dienen.
Der "innere Wert": Mehr als nur der Aktienkurs
Das Kernkonzept der Fundamentalanalyse ist der sogenannte innere Wert (englisch: intrinsic value). Dieser repräsentiert den tatsächlichen, fundamentalen Wert eines Unternehmens, basierend auf seiner Ertragskraft, seinen Vermögenswerten und seinen Zukunftsaussichten. Die zentrale Annahme ist, dass der Börsenkurs einer Aktie zwar kurzfristig durch Marktstimmungen, Spekulationen oder Nachrichten schwanken kann, sich aber langfristig immer an diesen inneren Wert anpasst. Aktienkurse und der Aktienpreis werden dabei maßgeblich durch die Ermittlung des inneren Werts beeinflusst, da Marktmechanismen langfristig zu einer Angleichung führen.
Das Ziel eines Fundamentalanalysten ist es, Diskrepanzen zwischen dem aktuellen Marktpreis und dem ermittelten inneren Wert zu identifizieren, wobei die Ermittlung des angemessenen Aktienpreises ein zentrales Ziel der Fundamentalanalyse ist:
- Unterbewertung: Liegt der Aktienkurs deutlich unter dem inneren Wert, gilt die Aktie als unterbewertet und stellt eine potenzielle Kaufgelegenheit dar
Überbewertung: Notiert der Aktienkurs erheblich über dem inneren Wert, gilt die Aktie als überbewertet und birgt das Risiko einer zukünftigen Kurskorrektur.
Im Gegensatz zur technischen Analyse, die sich auf die Untersuchung von Kurscharts und Mustern konzentriert, um den besten Zeitpunkt für Kauf oder Verkauf zu finden, fokussiert sich die Fundamentalanalyse auf die langfristige Bewertung des Unternehmens selbst, wobei die Anpassung der Aktienkurse an den inneren Wert im Mittelpunkt der Bewertung steht.
Zwei Wege zum Ziel: Top-Down- vs. Bottom-Up-Analyse
Innerhalb der Fundamentalanalyse gibt es zwei grundlegende strategische Ansätze, um potenzielle Investments zu finden.
Top-Down-Ansatz: Dieser Ansatz beginnt bei der großen, übergeordneten Perspektive und arbeitet sich schrittweise nach unten vor. Der Fokus liegt dabei auf der Analyse des makroökonomischen und branchenbezogenen Umfelds, um die zentralen Einflussfaktoren für Investitionsentscheidungen zu identifizieren.
- Globalanalyse: Zuerst wird die gesamtwirtschaftliche Lage analysiert (z. B. Wirtschaftswachstum, Zinsniveau, Inflation).
- Branchenanalyse: Anschließend werden die Branchen identifiziert, die von den aktuellen makroökonomischen Trends am meisten profitieren dürften.
- Unternehmensanalyse: Zuletzt werden innerhalb dieser vielversprechenden Branchen die stärksten und am besten bewerteten Unternehmen ausgewählt.
Bottom-Up-Ansatz: Dieser Ansatz geht den umgekehrten Weg und startet direkt bei der Analyse eines einzelnen Unternehmens. Ein Anleger sucht gezielt nach exzellenten Unternehmen mit starken Fundamentaldaten, einem soliden Geschäftsmodell und einem fähigen Management, unabhängig von der aktuellen Lage der Gesamtwirtschaft oder der Branche. Dies ist der klassische Ansatz von Value-Investoren wie Warren Buffett.
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV): Der Klassiker der Aktienbewertung
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis, kurz KGV (englisch: Price-to-Earnings Ratio, P/E), ist die wohl bekannteste und am häufigsten verwendete Kennzahl in der Fundamentalanalyse. Besonders bei der Aktienanalyse von Aktiengesellschaften spielt das KGV eine zentrale Rolle, da es hilft, Unternehmensdaten und fundamentale Kennzahlen zur Bewertung heranzuziehen. Es setzt den aktuellen Preis einer Aktie ins Verhältnis zum Gewinn, den das Unternehmen pro Aktie erwirtschaftet.
Definition und Formel: So berechnen Sie das KGV
Das KGV gibt an, um das Wievielfache ihres Jahresgewinns eine Aktie an der Börse bewertet wird. Besonders bei der Bewertung von Aktiengesellschaften wird das KGV häufig herangezogen, um deren fundamentalen Wert und Unternehmenskennzahlen zu analysieren. Man kann es auch so interpretieren: Es zeigt die Anzahl der Jahre, die ein Unternehmen bei konstantem Gewinn benötigen würde, um seinen eigenen Börsenwert zu erwirtschaften.
Die Formel zur Berechnung des KGV lautet:
KGV = Aktienkurs / Gewinn je Aktie(EPS)
Die beiden benötigten Werte finden Sie in der Regel auf allen gängigen Finanzportalen (wie finanzen.net oder onvista) oder direkt in den Geschäftsberichten der Unternehmen. Der “Gewinn je Aktie” (englisch: Earnings Per Share, EPS) wird berechnet, indem der Nettogewinn des Unternehmens durch die Anzahl der ausgegebenen Aktien geteilt wird.
Interpretation: Was ein hohes oder niedriges KGV wirklich bedeutet
Die Grenzen des KGV: Warum diese Kennzahl nicht alles ist
Ein weit verbreiteter Irrtum unter Anfängern ist, eine Aktie allein aufgrund eines niedrigen KGV als “günstig” und eine mit hohem KGV als “teuer” einzustufen. Ein KGV ist jedoch eine relative Kennzahl und entfaltet seine Aussagekraft erst im richtigen Kontext.
Branchenvergleich (Peer-Group-Vergleich): Das KGV muss immer mit dem Durchschnittswert der Branche verglichen werden.5 Ein KGV von 25 kann für ein schnell wachsendes Technologieunternehmen günstig sein, wenn der Branchendurchschnitt bei 40 liegt. Gleichzeitig kann ein KGV von 15 für einen etablierten Automobilhersteller bereits teuer sein, wenn die Konkurrenz im Schnitt mit einem KGV von 10 bewertet wird.
Historischer Vergleich: Wie ist das aktuelle KGV im Vergleich zum eigenen historischen Durchschnitt der letzten 5 oder 10 Jahre? Eine Aktie, die heute ein KGV von 20 hat, aber historisch im Schnitt mit 30 bewertet wurde, könnte trotz der absolut hohen Zahl relativ günstig sein.
Es gibt jedoch auch Kritik an der Aussagekraft des KGVs, da diese Kennzahl die Bewertung eines Unternehmens oft zu stark auf vergangenheitsbezogene Zahlen reduziert und qualitative Faktoren wie Marktstellung oder Zukunftsaussichten unberücksichtigt lässt.
Als grobe Faustregel gilt oft:
KGV unter 12: Gilt tendenziell als niedrig oder günstig.
KGV zwischen 12 und 20: Gilt als fair oder durchschnittlich bewertet.
KGV über 20: Gilt tendenziell als hoch oder teuer, was oft auf hohe Wachstumserwartungen des Marktes hindeutet.
Obwohl das KGV ein nützlicher erster Anhaltspunkt ist, hat es erhebliche Schwächen und Fallstricke, die jeder Anleger kennen muss.
Problem 1: Nicht anwendbar bei Verlusten
Wenn ein Unternehmen einen Verlust erwirtschaftet, ist der Gewinn je Aktie negativ. Das Ergebnis wäre ein negatives KGV, das keine sinnvolle Interpretation zulässt. Für solche Unternehmen oder junge Wachstumsfirmen, die noch nicht profitabel sind, müssen andere Kennzahlen wie das Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) herangezogen werden.
Problem 2: Der Gewinn ist eine Meinung, kein Fakt
Der „Gewinn“ in der KGV-Formel ist eine buchhalterische Größe aus der Gewinn- und Verlustrechnung. Er entspricht nicht dem tatsächlichen Geld, das auf dem Firmenkonto eingegangen ist. Unternehmen haben im Rahmen der Rechnungslegungsvorschriften erheblichen Spielraum, diesen Gewinn zu beeinflussen. Dies wird oft als „Gewinnkosmetik“ oder „kreative Buchführung“ bezeichnet.26 Durch bilanzielle Maßnahmen wie die Veränderung von Abschreibungsmethoden, die Bildung oder Auflösung von Rückstellungen oder die Verbuchung von einmaligen Sondereffekten kann der ausgewiesene Gewinn legal verzerrt werden. Ein Anleger, der sich blind auf das KGV verlässt, bewertet eine Aktie möglicherweise auf Basis einer geschönten Zahl.
Problem 3: Die versteckte Verzerrung durch Aktienrückkäufe
Eine der subtilsten, aber wichtigsten Verzerrungen des KGV entsteht durch Aktienrückkäufe (Stock Buybacks). Wenn ein Unternehmen eigene Aktien am Markt zurückkauft, sinkt die Gesamtzahl der ausstehenden Aktien. Die Formel für den Gewinn je Aktie lautet:
Gesamtgewinn / Anzahl der Aktien
Durch die Verringerung des Nenners (Anzahl der Aktien) steigt der Gewinn je Aktie (EPS) rein rechnerisch an, selbst wenn das Unternehmen keinen Cent mehr verdient hat. Da das KGV mit der Formel: (Aktienkurs/EPS) berechnet wird, führt ein künstlich erhöhter EPS zu einem künstlich niedrigeren KGV. Ein Anleger könnte fälschlicherweise glauben, die Aktie werde günstiger, während in Wahrheit nur eine Kennzahl manipuliert wurde, ohne dass echter Unternehmenswert geschaffen wurde.
Das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV): Die Substanz eines Unternehmens bewerten
Während das KGV die Ertragskraft eines Unternehmens misst, konzentriert sich das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) auf dessen Substanz. Es beantwortet die Frage: Wie viel zahlen Anleger für das Nettovermögen des Unternehmens, wie es in den Büchern steht?
Definition und Formel: So berechnen Sie das KBV
Das KBV (englisch: Price-to-Book Ratio, P/B) setzt den aktuellen Aktienkurs ins Verhältnis zum Buchwert je Aktie. Der Buchwert entspricht dem Eigenkapital eines Unternehmens, das sich aus der Bilanzformel Vermögenswerte – Schulden = Eigenkapital (Buchwert) ergibt. Er repräsentiert den Wert, der den Aktionären theoretisch zustehen würde, wenn das Unternehmen liquidiert, alle Vermögenswerte verkauft und alle Schulden beglichen würden.
Die Formel zur Berechnung des KBV lautet:
KBV = Buchwert je Aktie/Aktueller Aktienkurs
Die Ermittlung des Buchwerts je Aktie erfolgt, indem das gesamte Eigenkapital durch die Anzahl der ausgegebenen Aktien geteilt wird.
Praxisbeispiel: KBV-Analyse am Beispiel von Nestlé S.A.
Betrachten wir den Konsumgüterriesen Nestlé S.A. als Beispiel. Das Unternehmen verfügt über ein enormes Portfolio an weltbekannten Marken.
Angenommen, die Nestlé-Aktie notiert bei 90 Euro. Aus der Bilanz entnehmen wir ein Eigenkapital von ca. 36 Milliarden Euro und eine Aktienanzahl von rund 2,6 Milliarden Stück.40
Buchwert je Aktie berechnen:
Buchwert je Aktie=36.000.000.000 EUR/2.600.000.000 Stück ≈ 13,85 EURKBV berechnen:
KBV= 13,85 EUR/90 EUR = 6,5
Das KBV von Nestlé liegt bei etwa 6,5, was deutlich über 1 liegt. Aktuelle Daten von Finanzportalen bestätigen oft Werte in dieser Größenordnung. Dies ist ein perfekter Anlass, um die Grenzen dieser Kennzahl zu diskutieren.
Interpretation: Wann eine Aktie laut Buchwert "günstig" ist
Die klassische Value-Investing-Theorie interpretiert das KBV wie folgt: Das KBV gibt Auskunft über die Substanz und finanzielle Stabilität eines Unternehmens, indem es die Beziehung zwischen Marktwert und Buchwert beleuchtet.
KBV < 1: Die Aktie wird unter ihrem Substanzwert gehandelt. Theoretisch ist das Unternehmen an der Börse weniger wert als die Summe seiner Teile. Dies kann auf eine Unterbewertung hindeuten und gilt als starkes Kaufsignal für Value-Investoren.
KBV = 1: Der Börsenwert entspricht exakt dem Buchwert. Die Aktie gilt als fair bewertet.
KBV > 1: Der Markt ist bereit, einen Aufschlag auf den reinen Substanzwert zu zahlen. Dies kann auf hohe Wachstumserwartungen oder andere wertvolle, nicht bilanzierte Faktoren hindeuten.
Die Grenzen des KBV: Die Herausforderung bei Technologie-Aktien wie Apple
Das KBV hat einen entscheidenden blinden Fleck, der es für viele moderne Unternehmen unbrauchbar macht: die Bewertung von immateriellen Vermögenswerten. Bei der Bilanzanalyse einer Firma wird das KBV häufig herangezogen, um die finanzielle Stabilität und Profitabilität anhand des Verhältnisses von Marktwert zu Buchwert zu bewerten.
Problem 1: Der blinde Fleck für immaterielle Werte
Der Buchwert basiert hauptsächlich auf materiellen Vermögenswerten (Gebäude, Maschinen, Lagerbestände), die zu ihren historischen Anschaffungskosten bilanziert werden. Die wertvollsten Unternehmen der Welt, wie Apple, Microsoft oder Google, schöpfen ihren Wert jedoch nicht aus Fabriken, sondern aus immateriellen Vermögenswerten: Markenwert, Patente, Software-Code, Kundendaten und Netzwerkeffekte.
Diese selbst geschaffenen Werte tauchen oft gar nicht oder nur mit einem Bruchteil ihres tatsächlichen Wertes in der Bilanz auf. Wendet man das KBV auf Apple an, erhält man einen Wert von über 40. Eine naive Interpretation würde zu dem Schluss führen, Apple sei absurd überbewertet. Die Experten-Interpretation lautet jedoch: Das KBV ist für die Bewertung eines solchen Unternehmens das falsche Werkzeug. Die hohe Zahl spiegelt lediglich wider, dass der Markt den Wert der Marke Apple, des iOS-Ökosystems und der Innovationskraft um ein Vielfaches höher einschätzt als den Wert der physischen Apple Stores und Produktionsanlagen.
Problem 2: Die doppelte Verzerrung durch “Stille Reserven” und Rechnungslegungsstandards
Der Buchwert kann zusätzlich durch zwei Faktoren verzerrt werden:
Stille Reserven: Wenn ein Unternehmen ein Grundstück im Jahr 1980 für 100.000 Euro gekauft hat, steht es mit diesem Wert in den Büchern. Sein heutiger Marktwert könnte jedoch bei 5 Millionen Euro liegen. Die Differenz von 4,9 Millionen Euro ist eine “stille Reserve”, die das KBV nicht erfasst und das Unternehmen teurer erscheinen lässt, als es substanziell ist.
Rechnungslegungsstandards: Die beiden wichtigsten Standards, IFRS (international) und US-GAAP (USA), behandeln die Bewertung von Vermögenswerten unterschiedlich. IFRS erlaubt unter bestimmten Umständen eine Neubewertung von Vermögenswerten zum Marktwert, während US-GAAP hier strenger ist. Das bedeutet, dass ein direkter KBV-Vergleich zwischen einem europäischen (IFRS) und einem amerikanischen (US-GAAP) Unternehmen irreführend sein kann, da die Buchwerte nicht auf der gleichen Basis ermittelt wurden.
Das Kurs-Cashflow-Verhältnis (KCV): Ein Blick auf die wahre Finanzkraft
Das Kurs-Cashflow-Verhältnis (KCV) bietet eine alternative Perspektive zur Ertragskraft, die oft als ehrlicher und weniger manipulierbar als der Gewinn gilt. Es misst, wie viel Anleger für die tatsächliche Geldschöpfungskraft eines Unternehmens zahlen. Darüber hinaus hilft das KCV dabei, die Rendite eines Unternehmens einzuschätzen, indem es zeigt, wie effizient das eingesetzte Kapital in tatsächlichen Cashflow umgewandelt wird.
Definition und Formel: So berechnen Sie das KCV
Das KCV (englisch: Price-to-Cash-Flow Ratio, P/CF) setzt den Aktienkurs ins Verhältnis zum Cashflow je Aktie. Der Cashflow repräsentiert den Zufluss und Abfluss von liquiden Mitteln in einem Unternehmen über einen bestimmten Zeitraum.
Die Formel zur Berechnung des KCV lautet:
KCV=Cashflow je AktieAktueller Aktienkurs
Der Cashflow je Aktie ergibt sich, indem man den gesamten Cashflow (meist aus operativer Tätigkeit) durch die Anzahl der ausgegebenen Aktien teilt.
Warum der Cashflow oft ehrlicher ist als der Gewinn
Der entscheidende Vorteil des KCV gegenüber dem KGV liegt in der Natur des Cashflows. Während der Gewinn, wie bereits erläutert, eine buchhalterische Größe ist, die durch nicht-zahlungswirksame Posten (z. B. Abschreibungen) und bilanzpolitische Entscheidungen beeinflusst wird, misst der Cashflow die tatsächlichen Geldbewegungen. Analysten arbeiten dabei mit verschiedenen Cashflow-Kennzahlen, um die Finanzkraft eines Unternehmens möglichst objektiv zu bewerten.
Ein Unternehmen kann auf dem Papier hohe Gewinne ausweisen, aber aufgrund hoher Investitionen oder schlechten Forderungsmanagements einen negativen Cashflow haben. Umgekehrt kann ein Unternehmen mit hohen Abschreibungen einen niedrigen Gewinn, aber einen sehr starken Cashflow aufweisen. Der Cashflow gilt daher als schwerer manipulierbar und als direkterer Indikator für die finanzielle Gesundheit eines Unternehmens. Eine große Abweichung zwischen KGV und KCV ist oft ein Warnsignal, das eine genauere Untersuchung erfordert.
Interpretation: Was das KCV über die Liquidität verrät
Ähnlich wie beim KGV gilt auch beim KCV: Ein niedriger Wert ist tendenziell besser. Er deutet darauf hin, dass ein Unternehmen im Verhältnis zu seinem Börsenwert viel liquide Mittel erwirtschaftet. Diese Mittel können flexibel eingesetzt werden, um:
Schulden zu tilgen
In Wachstum zu investieren
Dividenden an Aktionäre auszuschütten
Aktien zurückzukaufen
Auch das KCV sollte immer im Branchenvergleich und im historischen Kontext betrachtet werden. In der Industrie gilt beispielsweise oft ein KCV von unter 10 als günstig.
Die Grenzen des KCV: Operativer vs. Free Cashflow und Manipulationspotenzial
Trotz seiner Vorteile ist auch das KCV nicht perfekt und hat seine eigenen Fallstricke.
Problem 1: Welcher Cashflow? Operativer vs. Free Cashflow
Der Begriff “Cashflow” ist oft nicht eindeutig. Für eine aussagekräftige Analyse muss man zwischen zwei wichtigen Arten unterscheiden:
-
Operativer Cashflow (OCF): Dies ist der Geldfluss, der direkt aus der Kerngeschäftstätigkeit eines Unternehmens generiert wird (z. B. aus dem Verkauf von Produkten).
-
Free Cashflow (FCF): Um das Geschäft aufrechtzuerhalten und zu wachsen, muss ein Unternehmen in Anlagen, Maschinen und Ausrüstung investieren (sogenannte Investitionsausgaben oder Capital Expenditures, CapEx). Der Free Cashflow ist der Betrag, der nach Abzug dieser notwendigen Investitionen übrig bleibt.59 Die Formel lautet: FCF = OCF – Investitionsausgaben.
Der FCF ist die ehrlichere Kennzahl, da er zeigt, wie viel Geld dem Unternehmen wirklich frei zur Verfügung steht, um es an Kapitalgeber zurückzugeben oder für strategische Zwecke zu nutzen. Ein Industrieunternehmen kann einen hohen operativen Cashflow haben, aber wenn es gleichzeitig enorme Summen in neue Maschinen investieren muss, kann der Free Cashflow sehr gering sein. Ein KCV, das mit dem OCF berechnet wird, würde das Unternehmen attraktiver erscheinen lassen, als es finanziell ist. Für eine präzise Bewertung ist ein KCV auf Basis des Free Cashflows (manchmal P/FCF genannt) oft aussagekräftiger.
Gerade bei der Analyse des Cashflows sollten Anleger die damit verbundenen Risiken berücksichtigen, da Unsicherheiten und potenzielle Gefahren bei der Interpretation auftreten können.
Problem 2: Auch der Cashflow ist manipulierbar
Obwohl es schwieriger ist als beim Gewinn, können Unternehmen auch ihren Cashflow kurzfristig “optimieren”. Typische Methoden sind:
-
Verzögerung von Zahlungen an Lieferanten: Das Unternehmen hält Geld länger auf dem eigenen Konto, was den operativen Cashflow für das Quartal erhöht.
-
Verkauf von Forderungen (Factoring): Das Unternehmen verkauft seine offenen Kundenrechnungen an eine Bank, um sofort Bargeld zu erhalten. Dies steigert den Cashflow, ist aber keine nachhaltige Quelle für Liquidität.
Ein aufmerksamer Anleger sollte die Kapitalflussrechnung über mehrere Perioden hinweg analysieren, um solche einmaligen Effekte zu erkennen und die wahre, nachhaltige Finanzkraft des Unternehmens zu beurteilen.
KGV, KBV & KCV im direkten Vergleich: Das richtige Werkzeug für jede Situation
Nachdem wir die drei zentralen Kennzahlen einzeln betrachtet haben, wird deutlich: Sie sind keine Konkurrenten, sondern ergänzen sich in einem umfassenden Analyse-Toolkit. Im Mittelpunkt der Fundamentalanalyse stehen diese Kennzahlen als entscheidende Indikatoren, da sie die wichtigsten Aspekte der Unternehmensbewertung abbilden. Jede Kennzahl beleuchtet einen anderen Aspekt des Unternehmens und hat ihre spezifischen Stärken und Schwächen. Die folgende Tabelle fasst die wichtigsten Punkte zusammen und hilft Ihnen bei der Entscheidung, wann welche Kennzahl am sinnvollsten ist.
Kennzahl | Wofür sie steht (Die Kernfrage) | Ideal für… (Anwendungsszenario) | Achtung bei… (Größter Fallstrick) |
---|---|---|---|
KGV | Ertragskraft: “Wie viele Jahre Gewinn zahle ich für die Aktie?” | Profitable, stabile Unternehmen mit vorhersehbaren Gewinnen (z.B. Konsumgüter, etablierte Industrie). | Wachstums- & Verlustunternehmen; bilanzielle Gewinnmanipulation; Aktienrückkäufe. |
KBV | Substanz: “Zahle ich mehr oder weniger als den reinen Substanzwert?” | Kapitalintensive Branchen mit vielen physischen Vermögenswerten (z.B. Banken, Versicherungen, Industrie). | Dienstleistungs- & Technologieunternehmen; hohe immaterielle Werte (Marken, Patente); stille Reserven. |
KCV | Finanzkraft: “Wie ist die Bewertung im Verhältnis zur echten Geldschöpfung?” | Unternehmen, bei denen der Gewinn durch hohe Abschreibungen verzerrt ist (z.B. Industrie, Telekommunikation). | Unternehmen mit hohem Investitionsbedarf (hier FCF-Betrachtung nötig); kurzfristige Cashflow-Manipulation. |
Die nächste Stufe: Ergänzende Kennzahlen für ein vollständiges Bild
Die Fundamentalanalyse endet nicht bei KGV, KBV und KCV. Die ergänzenden Kennzahlen bauen auf den Grundlagen der Fundamentalanalyse auf und ermöglichen eine fundierte Bewertung von Unternehmen. Um ein noch differenzierteres Bild zu erhalten, insbesondere bei speziellen Unternehmensarten, ziehen Analysten weitere Kennzahlen heran.
Das PEG-Ratio: Die "bessere" KGV für Wachstumsunternehmen
Das Price/Earnings-to-Growth-Ratio (PEG) wurde entwickelt, um die größte Schwäche des KGV zu beheben: die fehlende Berücksichtigung des zukünftigen Wachstums. Es setzt das KGV ins Verhältnis zum erwarteten prozentualen Gewinnwachstum.
Die Formel lautet:
PEG=Erwartetes jährliches Gewinnwachstum in %KGV
Interpretation:
Ein PEG von 1 gilt als faire Bewertung. Ein hohes KGV von 30 ist also gerechtfertigt, wenn das Unternehmen ein Gewinnwachstum von 30 % aufweist.
Ein PEG unter 1 deutet auf eine potenzielle Unterbewertung hin. Die Aktie könnte im Verhältnis zu ihrem Wachstum günstig sein.
Ein PEG über 1 kann auf eine Überbewertung hindeuten.
Das PEG-Ratio ist somit ein exzellentes Werkzeug, um hoch bewertete Wachstumsaktien besser einordnen zu können.
Das Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV): Wenn Gewinne noch fehlen
Das Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV) ist die wichtigste Kennzahl, wenn ein Unternehmen noch keine Gewinne erzielt, z. B. bei jungen Start-ups oder bei zyklischen Unternehmen in einer wirtschaftlichen Talsohle. Da hier kein positives KGV berechnet werden kann, weicht man auf den Umsatz aus.
Das KUV setzt den Börsenwert ins Verhältnis zum Jahresumsatz. Sein größter Nachteil ist jedoch, dass es die Profitabilität und die Kostenstruktur eines Unternehmens komplett ignoriert. Ein hoher Umsatz ist wertlos, wenn die Kosten noch höher sind.
Die Dividendenrendite: Was für Einkommensinvestoren zählt
Die Dividendenrendite gibt an, wie hoch die prozentuale Ausschüttung eines Unternehmens im Verhältnis zum aktuellen Aktienkurs ist und spiegelt damit den Anteil des Gewinns wider, der an die Aktionäre ausgeschüttet wird. Sie wird berechnet, indem die jährliche Dividende je Aktie durch den Aktienkurs geteilt wird. Für Anleger, deren primäres Ziel ein regelmäßiges Einkommen ist, ist diese Kennzahl von zentraler Bedeutung. Sie sagt jedoch nichts über das Wachstumspotenzial oder das Risiko einer Aktie aus.
Häufig gestellte Fragen
Was ist ein gutes KGV?
Es gibt keine allgemeingültige Antwort. Ein “gutes” KGV hängt stark von der Branche, dem Wachstum des Unternehmens und dem historischen Durchschnitt ab.69 Ein KGV von 10 kann für einen Automobilhersteller normal sein, während ein KGV von 30 für ein Softwareunternehmen als günstig gelten kann. Der Kontext ist entscheidend.
Kann das KGV negativ sein?
Ja, wenn ein Unternehmen einen Verlust macht, ist der Gewinn je Aktie negativ, was zu einem negativen KGV führt. In diesem Fall ist die Kennzahl jedoch nicht aussagekräftig und sollte nicht zur Bewertung herangezogen werden.
Ist eine Aktie mit einem KBV unter 1 immer ein Kauf?
Nicht zwangsläufig. Ein KBV unter 1 kann zwar auf eine Unterbewertung hindeuten, aber auch ein Warnsignal für ernsthafte unternehmerische Probleme sein, wie z. B. drohende Verluste, die das Eigenkapital aufzehren. Es ist unerlässlich, auch andere Kennzahlen wie die Verschuldung und die Ertragskraft zu prüfen.
Wo finde ich die verlässlichsten Kennzahlen für meine Analyse?
Die absolut verlässlichste Quelle sind die offiziellen, testierten Geschäftsberichte (Annual Reports), die Unternehmen im “Investor Relations”-Bereich ihrer Webseiten veröffentlichen.
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Was ist der Unterschied zwischen Fundamentalanalyse und technischer Analyse?
Die Fundamentalanalyse bewertet den inneren Wert eines Unternehmens anhand von Geschäftsdaten und ist auf einen langfristigen Anlagehorizont ausgerichtet. Die technische Analyse (oder Chartanalyse) untersucht hingegen vergangene Kurs- und Volumenmuster, um kurzfristige Handelssignale für den optimalen Kauf- oder Verkaufszeitpunkt zu identifizieren. Beide Ansätze können sich ergänzen.
Fazit: Fundamentalanalyse als Ihr Kompass für kluge Anlageentscheidungen
Die Fundamentalanalyse ist ein mächtiges Instrument, das Ihnen die Fähigkeit verleiht, über den Lärm des täglichen Börsengeschehens hinauszublicken und die Substanz eines Unternehmens zu erkennen. Die hier vorgestellten Kennzahlen – KGV, KBV und KCV – sind die Grundpfeiler dieser Analyse. Vor allem sollten bei der Fundamentalanalyse alle relevanten Grundlagen und Aspekte berücksichtigt werden, um eine fundierte Bewertung vorzunehmen. Sie ermöglichen es Ihnen, rationale, auf Fakten basierende Entscheidungen zu treffen und Ihr Portfolio auf einem soliden Fundament aufzubauen.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt jedoch nicht im mechanischen Ablesen von Zahlen, sondern im Verständnis ihrer Bedeutung, ihrer Grenzen und ihres Zusammenspiels. Eine Kennzahl allein ist nur ein Puzzleteil. Erst wenn Sie lernen, KGV, KBV und KCV im Kontext der Branche, der Unternehmensgeschichte und der qualitativen Faktoren zu interpretieren, entfalten sie ihre volle Kraft. Trotz verschiedener Analysemethoden können nicht alle Faktoren, die den Aktienpreis beeinflussen, vollständig erfasst werden. Es sollte vor allem darauf geachtet werden, dass keine Methode absolute Erfolgssicherheit bietet und alle Grundlagen sowie Aspekte in die Entscheidung einfließen.
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